Kritik in Kürze

Klassenzimmertheater: "Erste Stunde" in Freiburg

"Okay, bringen wir’s hinter uns. Ich gebe euch fünf Minuten Zeit, mich fertig zu machen." Mit solch aggressiver Anmache beginnt der Unterricht für die 11. Klasse der Freiburger Max-Weber-Schule. "Ich heiße Rickert – oder Fickert, egal...", stellt sich die Neue vor, die da so kämpferisch wie panisch an der Tafel steht und sich 45 Minuten lang um Kopf und Kragen redet. Vor Angst habe sie sich heute Nacht eingepisst, ist ja ihr zigster Schulwechsel, mit den Spielarten der Quälerei kennt sie sich bestens aus. Deswegen packt sie auch gleich Handy und "Begrüßungsgeld" auf den Tisch... "Erste Stunde", so der Titel des preisgekrönten Mobbing-Stückes von Jörg Menke-Peitzmeyer, mit dem das neugegründete Klassenzimmertheater hier ohne das Wissen der Schülerinnen und Schüler Premiere feiert (Regie: Peter W. Hermanns). "Durch den Fleischwolf gedreht" wird Schauspielerin Veronika Sautter-Bendiks an diesem Morgen nicht, stattdessen folgt die Klasse mit großer Aufmerksamkeit ihrem Monolog, der in sensibler, aber auch immer wieder provokativ-deftiger Sprache das facettenreiche Porträt einer Betroffenen zeichnet. Die dreht den Spieß gleich um. "Wer ist bei euch das Opfer?", fragt sie in die Runde. Der Ausländer, die Schüchterne, der Brillenträger? "Wenn man will, findet man an jedem was...", so die Botschaft. Wie sich Mobbing anfühlt, das gibt’s hier eine Schulstunde lang hautnah zu erleben, aufrüttelnd, intensiv und mit viel Interaktion.

BADISCHE ZEITUNG, 18:06:2016,  MARION KLÖTZER

Kultur Joker Freiburg

Download
Kritik Kultur Joker Freiburg.pdf
Adobe Acrobat Dokument 1.7 MB